
Ob wuseliger Versammlungsort oder großzügiger Freiraum, ob repräsentative »gute Stube« oder betriebsamer Markt – Plätze sind gleichermaßen öffentliche Treffpunkte und Visitenkarten ihrer Umgebung. Auch unser Wedding hat ganz vielfältige Plätze zu bieten. An manchen steppt sprichwörtlich der Bär, an anderen sagen sich Fuchs und Hase gute Nacht.
Im Rahmen dieser kleinen Serie werden wir einen Platz nach dem anderen vorstellen. Wetten, dass auch Sie noch nicht alle davon kennen?
1984 fragte Herbert Grönemeyer aus den Radiogeräten: »Wann ist ein Mann ein Mann?« Derartige Grundsatzdiskussionen können wir hier nicht führen, aber wir wandeln gern die Fragestellung mit einem Schmunzeln ab:
Wann ist ein Platz ein Platz?
Heute fahren wir mit der U9 zur vorletzten Station der Linie. Der Bahnhof mit seinen weißen Wänden und Decken strahlt dank der abgerundeten roten und blauen Farbfelder an den Wänden die helle, aber graphisch-kühle Ästhetik seiner Entstehungszeit, der 1970er, aus. Wir steigen empor und stehen nun am Nauener Platz. Und schauen uns um.

Im Gegensatz zu manch anderem Stadtplatz, der im Laufe seiner Geschichte kleiner wurde, weil entweder die Randbebauung in den Platz wuchs oder der Straßenbau Freifläche raubte, ist der Nauener Platz den Aufzeichnungen zufolge sogar größer geworden.
Heute fallen hier hauptsächlich die stark befahrenen Verkehrsachsen Reinickendorfer Straße und Schulstraße ins Auge … und Ohr. Die Kreuzung, die sie bilden, ist an drei Ecken von typischen Mietskasernen eingefasst. Die vierte, nördliche Ecke ist der eigentliche Platz.

Ursprünglich, also um 1890 herum, war die südliche Reinickendorfer Straße bis einschließlich heutiger Nauener Platz bereits dicht bebaut. Nördlich davon entstand gerade das »Caritative Wedding-Viertel«, ein Ensemble von dringend benötigten Kranken- und Pflegeeinrichtungen für die in den Jahrzehnten zuvor massiv gewachsene Bevölkerung in diesem Teil des Weddings. Dazu gehörten beispielsweise ein von Rudolf Virchow angeregtes Kinderkrankenhaus sowie die Lange-Schucke-Stiftung und das Jüdische Krankenhaus, die heute noch hier stehen.
Die Liebenwalder Straße, die heute bereits in die Reinickendorfer mündet, war damals durchgesteckt bis zur Schulstraße. Der dreieckige Platz zwischen diesen drei Straßen erhielt zunächst den Namen Augustaplatz ‒ vermutlich zu Ehren der gerade verstorbenen Kaisergattin und anlässlich der Widmung der noch heute in unmittelbarer Nachbarschaft gelegenen Kaiser-Wilhelm-und-Augusta-Stiftung. Fortschrittlich für damalige Verhältnisse wurde der Platz mit einem Spielbereich geplant.

Schon damals war die Kommune überfordert mit den Folgen der Übernutzung des Platzes. Für die vielen Anwohner und ihre Kinder standen vergleichsweise zu wenige und zu kleine Erholungs- und Spielflächen zur Verfügung. Die vorhandenen Angebote wurden überstrapaziert. Die Stadt kam mit der gärtnerischen Instandhaltung nicht hinterher und reagierte (gewohnt symptomorientiert) mit der pflegeleichteren Vollverpflasterung des Platzes.
Die Umbenennung des Platzes nach der nordwestlich Berlins gelegenen Kleinstadt Nauen erfolgte 1910, die Gründe hierfür waren nicht zu ermitteln. Die übrigen Straßen in der Umgebung sind in östlicher Richtung nach deutschen Dichtern und Gelehrten, in westlicher nach Orten und Personen im Zusammenhang mit dem Spanischen Erbfolgekrieg benannt.

Den heutigen Platz prägt das nach dem Zweiten Weltkrieg erbaute »Haus der Jugend«. Es wurde an der Liebenwalder Straße errichtet, die daraufhin als Straße aufgehoben wurde. Dadurch ist die vormalige Verkehrsinsel seit 1951 verkehrsfrei verbunden mit dem Haus der Jugend, und der Großteil des Nauener Platzes wird seither als Spielplatz mit Sandkasten und Klettergeräten genutzt.

Als Randnotiz ‒ und mit der Eingangsfrage im Hinterkopf ‒ ist noch zu erwähnen, dass der Nauener Platz im Gegensatz zu allen anderen in dieser Serie behandelten Orten kein amtlicher Platz im Sinn einer Postadresse ist.
Ist also der Nauener Platz ein Platz?
Kommt darauf an, wen man fragt. Im amtlichen Verzeichnis der Straßen und Plätze des Ortsteils Gesundbrunnen steht er wie gesagt nicht. Die BVG hingegen hat sogar einen U-Bahnhof nach ihm benannt. Die erwachsenen Anwohner nehmen ihn räumlich und funktional auch nicht als Platz wahr: wer Erholung oder Begegnung sucht, findet sie woanders. Und aus Sicht der Kinder und Jugendlichen, die ja mangels eigener politischer Interessenvertretung eher gefährdet sind als andere Gesellschaftsgruppen, zu kurz zu kommen? Klar ja!

Er mag vieles vermissen lassen, was wir von öffentlichen Plätzen erwarten, zumindest ist er aber ‒ passend zum Gebäude ‒ ein Platz der Jugend … oder, wie Herbert Grönemeyer singen würde: »Kinder an die Macht!«